Eine Rezension von Ole Hruschka erschienen in der Zeitschrift für Theaterpädagogik, Heft 79, S. 52
81 Sprüche zur Enthärtung unserer Welt
On the Softening of Our World. 81 Sayings
Mitten in der ersten Corona-Welle, Ende April 2020, verschickt Manfred Schewe an Freund*innen und Kolleg*innen aus seinem internationalen Netzwerk eine E-Mail. Unter dem Eindruck der aktuellen Situation entwickelt der emeritierte Professor der University College Cork (Irland) die Idee zu einem Buchprojekt unter dem Motto „Es muss anders werden”.
Sein Ziel ist es, sich und Anderen Mut zu machen – und zwar durch das „Sichtbarmachen unserer kollektiven Weisheit”. Jede/r Beitragende ist aufgefordert, sich „mit einem kritischen Aspekt unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit (national/international) auseinandersetzen und dazu einen selbsterdachten Spruch und möglichst auch Kommentar (max. eine Seite)” zu liefern. Folgende Zeilen aus einem Gedicht von Bertolt Brecht sollen dabei als kreativer Schreibimpuls dienen:
Dass das weiche Wasser in Bewegung –
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.
In Brechts Exil-Lyrik über die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration geht es um einen Gelehrten, der sein gebündeltes Wissen in 81 Sprüchen an einen beharrlich nachfragenden Zöllner weitergibt. Während Brechts Text selbst jedoch den Inhalt dieser Sprüche nur andeutet, verständigen sich die 81 Beitragenden aus Schewes Sammelband ganz konkret darüber, was sie in dieser unstabilen Welt als hart empfinden und wie dieses Harte überwunden werden könnte. Entstanden ist so ein sehr persönlicher Band: Autor*innen aus vierzehn Ländern und unterschiedlichen Berufsfeldern bieten gesellschaftspolitische Fragen und Anregungen, intellektuelle und lebenspraktische
Einsichten. Auch die ZfT-Gründungsherausgeber Gerd Koch und Florian Vaßen sind vertreten mit Reflexionen über Brechts Konzept der „Lebenskunst” (Koch) bzw. mit einer luziden, sehr zeitgemäßen Interpretation von Brechts Gedicht „Die Maske des Bösen” (Vaßen). Die zweisprachig (deutsch/englisch) erschienenen, sorgfältig übersetzten Beiträge wollen „einen interkulturellen Dialog über unsere Welt nach Covid-19 anstoßen”; überwiegend stammen sie jedoch aus privilegierteren Teilen der Erde, in denen es (wiederum mit Brecht gesprochen) wohl etwas leichter fällt, moralisch aufzutreten.
Doch wo und wie auch immer – hier wird länderübergreifend engagiert gedacht, diskutiert und weise gehandelt. Zu danken ist dafür allerdings nicht nur den vielerorts lebenden Autor*innen, die ihre Erfahrungen in diesem Buch mit uns Leser*innen teilen. Auch dem Herausgeber sei gedankt, er hat den Weisen ihre Weisheit abverlangt.
Ole Hruschka