Der Titel dieses Buchs weist den Begriff „Didaktik“ auf. Das ist verhältnismäßig selten in der neueren theaterpädagogischen Literatur; denn eine Zeit lang wurde dieser Begriff vermieden und etwa ersetzt durch „lernen“, „machen“, „stop teaching!“, ‚Methodenkoffer’ oder „Theatralisierung von Lehr-Lernprozessen“ (Koch 1995). Das von Ulrike Hentschel aktuell herausgegebene Buch nun verwendet den Begriff „Didaktik“ ganz bewusst und offensiv und versteht Didaktik als ein Verfahren, das sich im Prozess beziehungsweise als (ein) Prozess von Theater (vgl. 202 ff.) und Performance (vgl. 98 ff.) selbst (reflexiv, vgl. 193 ff.) ergibt. Gewissermaßen ein induktives Verfahren, was dem Theaterprozess bzw. der Performance inhärent ist bzw. sich mittels / vermittels desselben vor einem offenen, noch unbekannten Horizont (vgl. 256) methodisch erst entfaltet.
In gewisser Weise wird erinnert daran, dass „didactique“ traditionell eine künstlerische Gestaltungsweise ist, wie wir sie etwa in literarischen Gattungen, die einen ‚Lehrzweck’ haben, kennen (z. B. Fabeln). Didaktik ist in dieser Tradition eine Feld-Kombination von Poiesis und Praxis und Theorie - also eine Herstellung und Denk- und Ausdrucksweise.
Richtigerweise beginnt das Buch mit einem großen Abschnitt zu „Fachpraxis“ (die Logik von Praxis würdigend); erst dann folgt die Abteilung „Fachdidaktik“, die sich der akademischen Lehre, also der fachlich-speziellen Hochschuldidaktik, die zwischen Performance und Theater angesiedelt ist, reflexiv zuwendet, im dritten Abschnitt leitet der Begriff des „Projekts“ die Ausführungen der Autor*innen; der vierte Teil des Buches heißt „Theaterpädagogik studieren“ und berichtet von der szenischen Plastizität des Lehrens und Lernens - auch vom Übergang vom Lernen ins akademische Lehren. Sehr schön charakterisiert durch: „Jetzt-Momente lehren“ (286 ff.) und durch die Wortkombination „Wir.Jetzt.Hier“ (276, vgl. auch 170 ff.: Ausbildung zum Theaterlehrer): Gewissermaßen theater-didaktische Maximen. An dieser Stelle wird wiederum deutlich, dass der didaktische Lehr- und Probieransatz, der mit / in diesem Buch vertreten wird, theatrale Fachdidaktik in pluraler und mikrologischer Fein-Perspektive sieht (vgl. 7 ff. und konzeptionell 98 ff, 202 ff.)
Im Buch „Theater lehren. Didaktik probieren“ sind 29 Autor*innen mit ihrer jeweiligen Fachlichkeit anschaulich und konzeptionell vertreten - mithin ein Handbuch & Kopfbuch zugleich … Und es ist auch ein Wirkungs-Porträt einer stabilen Ausbildungsinstitution (der UdK = Universität der Künste Berlin) und ihres Studiengangs Spiel- und Theaterp.dagogik. Dieses 2016 erschienene Buch hat einen ‚Vorläufer’, nämlich das von Hans Martin Ritter (langjährig Professor an der HdK / UdK und später an der Hochschule für Musik und Theater Hannover) 1990 herausgegebene Buch: „Spiel- und Theaterpädagogik: ein Modell“. So kommt zu den aktuell 29 Autor*innen ein 30. (subkutaner) Autor hinzu bzw. seine Impulse wurden durch andere weitergeschrieben - auch das ist eine mögliche didaktische Wirk-Weise: Wirken durch Vorschläge oder wie man in Anlehnung an S. 163 im aktuellen Buch sagen kann: Es „biete(t) etwas (sehr viel! Anm. Rez.) an und der Leser möge selbst Verknüpfungen zu seiner eigenen Praxis herstellen“ also: Lernen - Lehren - Probieren an verschiedenen Lern-, Lehr- und Probier-Orten ...
Gerd Koch