Stadtforschung + Statistik - Ausgabe 1/2020
- 117 Seiten
- Format: 21 x 29,7 cm
- 2020
Im Zeitalter der Suburbanisierung waren die Rollen klar verteilt: Hier die Kernstadt als Arbeits-, Kultur- und Versorgungsort, dort das suburbane Umland als Wohnort für alle, die es sich leisten konnten, ein Häuschen im Grünen zu bauen – oder wenigstens eines zu kaufen. So entwickelte sich der suburbane Wohnstandort quasi als räumlich und baulich manifestierter Ausdruck der bürgerlichen Normalfamilie der 1960er Jahre zum Wohnideal der „Städter“.
Im Zuge gesellschaftlicher Umbrüche, einer zunehmenden Erwerbsbeteiligung der Frauen, neuer Erwerbsformen und –biografien, einer fortschreitenden Tertiärisierung und nicht zuletzt einer gezielten Attraktivierung der städtischen Zentren bröckelte dieses Ideal seit Beginn der 2000er Jahre und wurde abgelöst durch eine Wiederentdeckung des Städtischen: Unter dem Oberbegriff der Reurbanisierung wurden die Zentren zunehmend wieder als Wohnstandorte interessant. Hier, an gut erschlossenen und ausgestatteten Wohnstandorten in der Nähe der Arbeitsplätze ließ sich der Alltag moderner Familien meist besser organisieren als weit draußen im Umland.
Nur: Weil seit bald zwei Jahrzehnten immer mehr Menschen in Richtung Zentrum tendierten, steigen die Grundstücks- und Wohnungspreise und in Folge die Mieten dort deutlich an. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen: Denn obwohl der Wunsch nach guter Erreichbarkeit und infrastruktureller Ausstattung bestehen bleibt, weichen zuletzt wieder mehr Haushalte in das Umland der Städte aus, da sie sich nur hier eine ausreichend große und komfortable Wohnung leisten können.
Aus dem hierdurch entstandenen Nebeneinander stadtregionaler Verflechtungen ergeben sich neue Raummuster, die in den Beiträgen des vorliegenden Schwerpunkts differenziert dargestellt werden sollen. Dieser gliedert sich im Wesentlichen in drei Abschnitte: Im ersten wird den Fragen nachgegangen, wie die eng miteinander verflochtenen Städte und deren Umland raumanalytisch abgegrenzt werden können (Antonia Milbert), welche Sub- und Reurbanisierungsprozesse in den Großstadtregionen Deutschlands zu beobachten sind und welche Blickwinkel in die Analyse dieser Prozesse einbezogen werden sollten (Brigitte Adam).
Im zweiten Teil des Schwerpunkts werden Befunde zur residentiellen Mobilität am Beispiel von drei Großstadtregionen dargestellt: In Köln (Mirjam Schmid, Susann Kunadt), Stuttgart (Tobias Held, Attina Mäding) und Heidelberg (Carolina Föhl) zeigt sich, dass die Städte zwar auf der einen Seite von internationaler Zuwanderung und dem Zuzug junger Menschen profitieren, auf der anderen Seite aber eine verstärkte Abwanderung in das Umland zu beobachten ist. Neben Daten zur Einwohner- und Wanderungs- und Wohnungsmarktentwicklung wird am Beispiel von Stuttgart anhand von Befragungsdaten zusätzlich untersucht, was den Wunsch bedingt, lieber im Umland zu wohnen (Till Heinsohn, Fabian Schütt). Scheinbar spielen äußere Zwänge hierbei eine zumindest ebenso große Rolle wie der Wunsch selbst.
Im dritten Teil geht es schließlich um Alltags- und Verkehrsmobilität. Am Beispiel von Heidelberg wird die Verflechtung der Stadt mit ihrem Umland anhand von Pendlerdaten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten dargestellt (Stefan Lenz). Räumlich schärfer auflösend und thematisch weitergefasst sind Informationen aus Mobilfunkdaten, wie sie aktuell in Darmstadt im Zuge von Verkehrsanalysen erprobt werden (Günther Bachmann). Dass es tatsächlich noch viele weitere Datenquellen gibt, um die berufliche Mobilität in Stadtregionen zu analysieren und anschaulich darzustellen, zeigt das Beispiel Frankfurt am Main (Christian Stein).
Dr. Ansgar Schmitz-Veltin